Die Naikan-Praxis
Die klassische NAIKAN-Übung dauert sieben Tage. Bewusst begibt man sich in einen meditativen Rahmen, in die Stille, um sich durch Erinnerungen an den eigenen Lebensweg selbst wieder und neu zu entdecken. Im NAIKAN wird täglich etwa zwölf bis vierzehn Stunden „gearbeitet“. Innerhalb einer Woche finden daher in etwa hundert Stunden an persönlichkeitsbildenden Prozessen und Erkenntnisarbeit statt.
Rahmenbedingungen für die NAIKAN-Praxis
In der NAIKAN-Praxis erhält jeder einen eigenen Platz, der vom Gesamtraum abgeschirmt ist. So kann sich jeder reizreduziert seiner Aufgabe widmen. In selbst gewählter Haltung sitzen die Teilnehmenden entspannt auf Sitzkissen, Matten oder einem Stuhl. Auf ihrem jeweiligen Übungsplatz werden sie mit Mahlzeiten versorgt. Während der NAIKAN-Woche leben die Teilnehmenden in Stille und sprechen ausschließlich mit den NAIKAN-LeiterInnen. Um sich nicht von der Aufgabe abzulenken, wird in dieser Woche für gewöhnlich auch kein Kontakt nach außen (Freunde, Familie) gepflegt. Telefonate, Bücher, Radio oder TV werden bewusst vermieden. Dennoch wird den Teilnehmenden nicht langweilig. Denn die eigene Lebensgeschichte ist doch der interessanteste „Film“, ausgestattet mit allem, was wir zum Lernen benötigen. Um eine wirkungsvolle NAIKAN-Übung durchzuführen, ist es wichtig, diese Rahmenbedingungen einzuhalten, sich in Zurückgezogenheit und Stille auf sich selbst zu konzentrieren.
Aufgabenstellung
Die eigentliche Aufgabenstellung besteht darin, dass sich die Übenden an bestimmte Lebensabschnitte erinnern. Mithilfe bestimmter Fragen untersuchen sie ihr eigenes Verhalten gegenüber ihnen nahestehenden Personen. Ihr Zusammenleben mit Mutter, Vater, Geschwistern, PartnerInnen, Kindern und FreundInnen wird in klar abgegrenzten Altersperioden betrachtet. Pro betrachteter Person und betrachtetem Zeitraum wird in etwa 70 bis 100 Minuten reflektiert. Danach gibt es die Möglichkeit, mit dem/der NAIKAN-LeiterIn kurz über das Reflektierte zu sprechen.
Drei Fragen als Kompass in die innere Welt
NAIKAN benutzt drei Fragen, um die tiefen Schichten des Bewusstseins zu erschließen. Die Einfachheit der Fragen und der Aufbau der Übung lassen die NAIKAN-Teilnehmenden oft bis in frühe Kindheitserinnerungen vordringen. Für die Reflexion über das Zusammenleben zum Beispiel mit der Mutter im Zeitraum 0–6 Jahre, lauten die Fragen wie folgt:
- Was hat meine Mutter für mich getan?
- Was habe ich für meine Mutter getan?
- Welche Schwierigkeiten habe ich meiner Mutter bereitet?
Befreiung durch Ganzheit
Mit Hilfe dieser drei Fragen kommen die NAIKAN-Teilnehmenden zu einer tiefen Einsicht, was ihr Verhalten gegenüber anderen Menschen betrifft. Sie erleben sich sozusagen mit den Augen ihrer Mitmenschen. Sie erhalten die Möglichkeit zu erkennen, was ihnen bereits an Liebe und Zuwendung zugeflossen ist. In der Form, wie es ihren Mitmenschen eben möglich war. Und sie erkennen auch, wo sie Liebe und Zuwendung verhindert haben. Im Laufe des NAIKAN-Prozesses erhalten die Übenden tiefe Einsichten und erfahren eine inneren Befreiung. Darin liegt eine Quelle der Freude, die ihnen von nun an zugänglich ist.